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Interview mit einem Stalker

Stalking. Für viele ein unverzeihliches Verhalten, welches mit aller Härte bestraft werden sollte, für andere quasi ein Lebensinhalt. Im ewigen Bemühen um einen Pulitzer-Preis (oder wenigstens einen Grimme-Award) hat Klopfer sich mit einem Stalker getroffen (lies: ihn aus der Hecke vor dem Haus gezerrt) und ein Interview geführt. Um seine Identität zu schützen, nennen wir ihn einfach mal Stefón.

Klopfer: Hallo Stefón. Du bist also Stalker?

Stefón: Ich weiß gar nicht, wie Sie darauf komm- AUA! Bitte nicht mehr mit der glühenden Zange … AAARGH!

Klopfer: Beginnen wir noch einmal. Hallo Stefón. Du bist also Stalker.

Stefón: Ungh. Ja. Ja, bin ich.

Klopfer: Das ist ja eine eher ungewöhnliche Tätigkeit, die eindeutig ein Imageproblem hat. Was treibt dich dazu an, jeden Morgen aufzustehen und zu stalken?

Stefón: Nun, das ist schon etwas, was man mit Leidenschaft machen muss. Den meisten Leuten ist gar nicht klar, wie viel Arbeit ordentliches Stalken auf professionellem Niveau ist.

Klopfer: Inwiefern?

Stefón: Haben Sie eine Ahnung, wie viel Rechercheaufwand dahinter steckt? Da wühlen wir uns manchmal tagelang durch Dokumente, Datenbanken und sogar weggeworfene Kassenbons. Und alles unbezahlt! Das ist den Menschen gar nicht klar. Die sehen nur jemanden, der einem anderen dauernd folgt und beobachtet, was derjenige tut. Dass da viel Vorbereitung drinsteckt, sieht niemand.

Klopfer: Findest du es unfair, dass du damit kein Geld verdienst?

Stefón: Ja, schon. Ich finde, wenn wir einen guten Job machen, sollte zumindest die Zielperson etwas zahlen. Viele von uns sehen das Stalking eher als Sprungbrett für eine Karriere im Geheimdienst oder investigativen Journalismus, aber diese Leute sind keine Puristen.

Klopfer: Wenn du einen guten Job machst … Was hat die Zielperson von deiner Tätigkeit?

Stefón: Schutz!

Klopfer: Schutz?

Stefón: Schutz!

Klopfer: Bitte elaboriere.

Stefón: Wenn ich jemanden observiere, beobachte ich ihn Tag und Nacht, ob auf der Straße oder beim Schlafen. Sollte da also ein Übeltäter kommen, bin ich sogleich als Zeuge da und kann der Polizei Fotos übergeben.

Klopfer: Das würde ich jetzt nicht wirklich als Schutz bezeichnen. Wenn mir jemand etwas Böses will, sollte er daran gehindert werden. Wenn die Polizei Fotos von dem Typen hat, der mir den Schädel einschlug, ist das für mein gesundheitliches Wohlergehen eher minder relevant.

Stefón: Da sind Sie aber altmodisch. Politik und Verkehrsunternehmen stimmen mit mir überein, dass Überwachung Schutz ist. Deswegen werden ja überall Kameras hingesetzt, ohne gleichzeitig das Sicherheitspersonal zu verstärken.

Klopfer: Das hindert die Brutalos aber nicht daran, auf U-Bahnhöfen Passanten ins Koma zu dreschen.

Stefón: Ja, aber es gibt Videos oder Fotos davon! Wenn man die dann erwischt, weiß man dann wenigstens, wie viele Menschen sie ins Koma geprügelt haben.

Klopfer: Was für ein Trost. Gibt es noch etwas, was dich an der öffentlichen Wahrnehmung deiner Tätigkeit wurmt?

Stefón: Aber sicher! Die ganze Romantik im Stalking wird gar nicht anerkannt oder gar von anderen eingenommen!

Klopfer: Welche Romantik?

Stefón: Na hallo? Edward Cullen in „Twilight“ stalkt Bella Swan die ganze Zeit und guckt ihr sogar beim Schlafen in ihrem Zimmer zu. Einer Minderjährigen! Und die Fans sind alle so: „Boah, wie romantisch, hach, der ist ja ein Traumtyp!“ Aber kommt ihnen einmal so sehnsuchtsvoll das Wort „Stalking“ über die Lippen? Haben sie den Mut, öffentlich mit vor Erregung zitternder Stimme einzugestehen: „Ich will auch so einen Stalker!“ Nein!

Klopfer: Skandalös!

Stefón: Nicht wahr? Und das ist nicht alles. Nehmen wir Lady Gaga …

Klopfer: Ungern.

Stefón: Sie kennen sicher dieses Lied, wo es heißt: „I’m your biggest fan, I’ll follow you until you love me!“

Klopfer: Klar.

Stefón: Und was kommt danach? „Paparazzi!“ Das ist eine unerhörte Frechheit! Ein Paparazzo schießt Bilder für die Lügenpresse, der ist doch emotional überhaupt nicht involviert! Lady Gaga beschreibt eindeutig einen Stalker, aber wer kriegt im Refrain die Lorbeeren? Der schmierige Bodensatz vom Schundjournalismus.

Klopfer: Das ist wirklich eine himmelschreiende Ungerechtigkeit!

Stefón: Gell?

Klopfer: Gibt es denn wenigstens auch Unterstützung für Leute wie dich?

Stefón: Ja, ich muss sagen, mit der Politik bin ich schon zufrieden.

Klopfer: Echt? Trotz des Anti-Stalker-Gesetzes?

Stefón: Ja, das mit der Nachstellung im Strafgesetzbuch ist ein kleines Ärgernis, aber ansonsten können wir Stalker uns kaum beschweren. Die Impressumspflicht für Websites ist eine unheimliche Hilfe für uns, ich hoffe, dass da endlich klargestellt wird, dass auch Facebook-Profile und Instagram-Feeds von Privatpersonen so eines brauchen. Früher musste man manchmal ewig recherchieren, um die Adresse von Leuten rauszukriegen, die man bis dahin nicht persönlich kannte. Jetzt klickt man einfach auf den Link zum Impressum und weiß, wo man sich auf die Lauer legen muss.

Klopfer: Die Impressumspflicht gilt allerdings nicht für Seiten, die rein zum persönlichen Gebrauch sind.

Stefón: Ja, aber dafür dürften sie der Öffentlichkeit nicht zugänglich sein, aber die meisten, die einen Blog schreiben oder Fotos von sich veröffentlichen, wollen ja, dass auch andere als der private Freundeskreis das sehen können. Und schon gilt die Impressumspflicht laut Medienstaatsvertrag.

Klopfer: Kann die Politik noch mehr tun, um dich zu unterstützen?

Stefón: Logisch! Aber das ist ja zum Glück im Gange. Eine Reihe von Politikern will ja den Klarnamenzwang einführen, und das wäre wahnsinnig hilfreich. Wissen Sie, manchmal läuft die Auswahl einer Zielperson relativ zufällig. Da ist man zum Beispiel in einem SM-Forum, sieht einen geilen Beitrag von „devote Dreilochstute 83“ und denkt sich: „Boah, über die geile Sau würde ich gerne mehr erfahren“, aber ohne Hilfe vom Foren-Administrator ist man da ein bisschen gehandicapt. Mit dem Klarnamenzwang wüsste ich sofort, wie sie heißt, und könnte mit wenig Aufwand feststellen, dass sie eine Grundschullehrerin aus Bad Salzdetfurth ist.

Klopfer: Kann man also sagen, dass der gemeinsame Feind von Stalkern und der Politik die Anonymität im Internet ist?

Stefón: Jawohl! Allerdings sind unsere Motivationen unterschiedlich. Wir wollen die Anonymität abschaffen, weil wir in unsere Zielpersonen vernarrt sind. Die Politiker wollen es, weil sie Angst vor den Leuten haben.

Klopfer: Ändert sich die Einstellung von Politikern nicht, wenn sie selbst Opfer von Stalkern werden?

Stefón: Opfer? Klienten, wenn schon. AUA!

Klopfer: Keine Mäkeleien wegen meiner Wortwahl, bitte.

Stefón: Grmbl. Jedenfalls: Das hält nicht lange vor. Da muss nur wieder irgendein Anschlag passieren. Oft reicht es auch aus, wenn jemand aus dem Umfeld des Politikers beleidigt wird, und schon ist die Anonymität keine Herzensangelegenheit mehr.

Klopfer: Mal etwas anderes: Was ist eigentlich dein Ziel, wenn du jemanden stalkst?

Stefón: Das, was alle Menschen zum Ziel haben: Liebe. Ich hoffe, wenn ich immer für die Zielperson da bin, erkennt sie irgendwann, dass ich ihr idealer Partner bin. Und wenn ich besonders genau beobachte, erkenne ich auch die ersten zarten Funken aufkeimender Leidenschaft und kann sie gezielt anheizen.

Klopfer: Und jetzt die Preisfrage: Was zur Hölle hast du Lümmel vor diesem Haus verloren? Ich bin nicht schwul.

Stefón: Wer will denn auch was von Ihnen? Ich habe auf Frau [zensiert] gewartet!

Klopfer: Meine Nachbarin? Die ist 84!

Stefón: Wahre Liebe kennt kein Alter! Schon wenn ich mir vorstelle, wie meine Finger knisternd über ihre pergamentartige Haut fahren und jede Falte fühlen, werde ich ganz wuschig.

Klopfer: Ich glaube, wir beenden das jetzt besser. Wo war noch mal mein Brecheisen?

Stefón: Eh?

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