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Affengeil? Wie sind Bonobos wirklich drauf?

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Das Sexualverhalten der Bonobos wird gern in den Medien herangezogen, um zu zeigen, wie viel besser eine „Make love, not war“-Gesellschaft funktioniert als zum Beispiel unsere, in der Konflikte an der Tagesordnung sind und für viele Schmerzen sorgen, selbst wenn sie nicht mit Gewalt ausgetragen werden. Bonobos, so hören wir, seien viel sinnlicher. Sie hätten viel Sex, seien daher viel entspannter. Es gäbe viel weniger Konflikte, und sowieso würde alles viel liebevoller ablaufen. Und sie seien uns gar nicht unähnlich, so würden sie beim Sex auch die Missionarsstellung benutzen und sich so beim Sex in die Augen sehen. Die sexuelle Freiheit der Bonobos wurde auch kürzlich in einer Ausgabe der Bravo gepriesen – inklusive der Information, dass Bonobos Analverkehr praktizieren würden. Und gelegentlich erwähnen Feministen auch, dass Bonobo-Kulturen matriarchalisch wären, natürlich mit dem Unterton, dass dies der Grund für die Friedfertigkeit dieser Menschenaffen sei. Kurz: Eigentlich wären Bonobos das beste Vorbild für uns Menschen; so viel Fickificki, dass alle viel zu gut drauf sind, um sich zu zanken.

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Quelle: Bravo 6/19, Seite 34

Die Realität sieht dann allerdings nicht so rosig aus. Zunächst aber mal: Was sind Bonobos? Bonobos sind Zwergschimpansen. Sie haben viele Ähnlichkeiten mit „normalen“ Schimpansen, zeigen aber in ihrem Verhalten auch deutliche Unterschiede. Schimpansen und Bonobos sind unsere nächsten lebenden Verwandten im Tierreich, und natürlich ist es interessant, da Vergleiche zu ziehen. Es wäre allerdings absurd zu behaupten, dass der Bonobo näher mit uns verwandt wäre als der Schimpanse.

Um die im Eingang erwähnten Behauptungen zu überprüfen, hat Lynn Saxon mit ihrem Buch „The Naked Bonobo“ die aktuelle Bonobo-Forschung zusammengefasst, die viele Erkenntnisse über den Haufen warf, die man zunächst durch ungenaue Beobachtungen von Bonobos in Gefangenschaft erlangt hatte. Dummerweise sind Bonobos in der Hinsicht ähnlich wie Menschen: Wenn man Männchen und Weibchen auf begrenztem Raum zusammensperrt und ihnen nichts zu tun gibt, werden sie anfangen zu bumsen. Die neuen Erkenntnisse gründen hingegen auf der Erforschung mehrerer wildlebender Bonobo-Stämme in verschiedenen Teilen Afrikas.

Bevor man das Sexual- und Sozialverhalten von Bonobos untereinander anschaut, muss man etwas wissen, was auf Schimpansen und Bonobos gleichermaßen zutrifft: Die Männchen bleiben ihr Leben lang in einem Stamm. Die Weibchen hingegen müssen, sobald sie geschlechtsreif sind, ihre Familie verlassen und sich einem anderen Stamm anschließen.

Auch das Sexualverhalten von Kindern und Heranwachsenden ist sehr ähnlich: Sie sind neugierig und erforschen ihre Sexualität, wobei Männchen da wesentlich interessierter sind als Weibchen, weswegen die männlichen Kinder und Heranwachsenden vornehmlich Sex mit erwachsenen Weibchen ausprobieren. Das sind dann auch die Fälle, in denen Sexstellungen beobachtet wurden, bei denen sich beide Partner angucken – erwachsene Schimpansen und Bonobos tun das nicht. Auch Oralverkehr tritt nur in dieser Kindheits- und Pubertätsphase auf, und das nur für wenige Sekunden, also nicht zur nachhaltigen Lustbefriedigung. Die erwachsenen Männchen tolerieren das Verhalten der Jugendlichen. Das hört allerdings sehr abrupt auf, und die jungen Männchen werden dann energisch von den älteren Männchen mit hohem Status verjagt, wenn sie etwas Sexuelles mit den erwachsenen Weibchen anfangen wollen.

Für die jungen Weibchen, die zu einer anderen Gruppe übersiedeln, beginnt die Zeit der größten sexuellen Aktivität erst. Der Status von Weibchen in Bonobo-Gruppen wird im Wesentlichen von Alter und Kinderzahl bestimmt, und diese jungen Neuankömmlinge haben beides nicht. Daher bieten sie sich sexuell an, damit sie bessere Chancen darauf haben, etwas von der Nahrung abzubekommen, die die Gruppe gesammelt oder gejagt hat. Ältere Bonobo-Weibchen mit hohem Status haben dagegen eher selten Sex mit Männchen, sogar weniger als Schimpansen-Weibchen. Sie müssen ja auch nicht, sie haben auch so einen guten Anspruch auf das Futter.

Für männliche erwachsene Bonobos ist das Leben auch keine Orgie: Nur die männlichen Bonobos mit hohem Status haben relativ viel Sex, allerdings auch nicht so viel, dass ein Pornostar neidisch werden müsste. Konkurrenten werden energisch verjagt, und auch die Weibchen bieten sich vornehmlich den Männchen an, die aggressiv sind und einen hohen Status haben. Der Status eines männlichen Bonobos wird wesentlich vom Status seiner Mutter geprägt. Die Mutter unterstützt ihren Sohn dabei auch: Da der Sohn in die Nähe seiner Mutter darf, ist er näher an den anderen Weibchen dran und hat so auch bessere Chancen, sie besteigen zu dürfen. Die Mutter hilft ihrem Sohn auch bei Kämpfen oder dabei, seine Konkurrenten zu verjagen. (Das kann auch zu heftigem Zank zwischen zwei Müttern führen.) Allianzen zwischen Weibchen, um sich gegen Männchen zu verteidigen, gibt es äußerst selten. Wenn die Mutter stirbt, ist es wiederum sehr leicht für einen Bonobo-Mann, seinen Status in der Gruppe zu verlieren. Männchen ohne Status werden an den Rand der Gruppe gedrängt. Sie haben keinen Sex und haben auch den geringsten Anspruch auf die Nahrung, die die Gruppe sammelt.

Die Beziehung zwischen Mutter und Kind ist übrigens auch die einzige, die in einer Bonobo-Gruppe relevant ist. Bei Schimpansen können die Männchen zumindest zeitweise Allianzen eingehen, kooperativ jagen oder in Zweiergruppen eine Patrouille um ihr Gelände machen. (Schimpansen sind territorialer als Bonobos und tolerieren Eindringlinge in ihrem Gebiet nicht.) Bonobo-Männchen kennen so eine friedliche Zusammenarbeit untereinander nicht.

Für heterosexuelle Kontakte sieht’s also gar nicht so gut aus bei den Bonobos, aber wie ist es mit den homosexuellen Kontakten? Da wird’s eher noch schlimmer. Sämtliches homosexuelles Verhalten zwischen erwachsenen Bonobos ist soziosexuell und nicht von Lust oder Liebe motiviert. Man reibt Genitalien und Hintern aneinander (oder Hintern an Hintern oder Genitalien an Genitalien) aus einem einzigen Grund: um Aggressionen zu mindern. Junge Weibchen bieten ihre Genitalien den älteren Weibchen zum Reiben an, um zu sagen: „Du bist stärker, ich unterwerfe mich, bitte tu mir nichts.“ Und die älteren Weibchen können das auch fordern, wenn sie der Meinung sind, dass ein junges Weibchen sich zu forsch verhält und sich zum Beispiel einem Männchen anbietet, auf das das ältere Weibchen ebenfalls ein Auge geworfen hat, oder sich zu vorwitzig an das Futter heranmacht. Auch wenn ein Weibchen einem anderen das Jungtier wegnimmt, kann die Mutter versuchen, das andere Weibchen zur Rückgabe zu bewegen, indem sie demütig ihre Genitalien zeigt und zum Reiben anbietet. (Man sollte nicht glauben, dass so ein Weibchen mit einem geklauten Jungtier besonders liebevoll umgeht. Derartige Vorkommnisse enden schon mal tödlich.)

Bei den Männchen sieht es ebenfalls so aus. Da Männchen untereinander keine Zuneigung kennen, ist das Reiben von Hintern und Genitalien auch hier eine reine Unterwerfungs-/Dominanzhandlung: „Ich erkenne an, dass du stärker bist! Hier, mein Hintern.“ Eine Lustbefriedigung ist damit nicht verbunden – die Kontakte dauern weniger als eine Minute und es wird nie dabei ejakuliert. Es ist ein reines Ritual, eine Pflichtübung, um die Rangordnung anzuerkennen. Penetrationen gibt es sehr selten und nur aus Versehen, wenn der Penis des Aggressors mal kurz in den Anus des Unterwerfenden rutscht, das hält aber nur einen Stoß an und wird rasch korrigiert. Analverkehr, wie die Bravo ihn bejubelt, haben Bonobos nicht.

Der Großteil des sexuellen Verhaltens unter erwachsenen Bonobos ist soziosexuell, um eine Rangfolge zu kommunizieren und zu bestätigen, und findet im Kontext von Aggression statt: Man macht das nicht, um sich zu entspannen, sondern um jemanden zu besänftigen oder zu unterwerfen, den man absolut nicht leiden kann. Junge Bonobo-Weibchen prostituieren sich für Futter und heranwachsende Bonobo-Männchen treiben es mit erwachsenen Weibchen. Man kann sich denken, dass das eher kein Vorbild für menschliche Gesellschaften wäre.

Funktioniert es aber wenigstens, um Gewalt bei den Bonobos zu reduzieren? Vielleicht. Schimpansen sind zwar deutlich häufiger gewalttätig als Bonobos (wobei auch das allerdings nicht alltäglich ist), aber auch Bonobos wurden bereits dabei beobachtet, äußerst brutal miteinander umzugehen. Abgebissene Genitalien, zerfetzte Ohren, auch Tötungen sind bei Bonobos schon verzeichnet worden. Ein Bonobo, der aus irgendeinem Grund die Gruppe gegen sich aufbringt, wird auch durch das devote Präsentieren der Genitalien nicht unbedingt verhindern können, schwerstens verletzt zu werden. Und die oben erwähnten Jungtiere, die ihren Müttern weggenommen und dann getötet werden, trüben das Bild von den stets friedlichen Menschenaffen noch mehr.

Je weiter der technologische Fortschritt der Menschheit voranschreitet, desto mehr sehnen sich viele Menschen nach einer vermeintlich einfacheren und harmonischeren Vergangenheit. Man glaubt, die Entwicklung hätte uns irgendwie verfälscht und dabei oberflächlicher und brutaler gemacht, uns weggeführt von der naturverbundenen und einträchtigen Lebensart unserer Vorfahren. Die romantische Verklärung des „edlen Wilden“ findet seine Entsprechung beim Blick in die Fauna, wenn Menschen naive Vorstellungen der Lebensweisen von Menschenaffen pflegen, die doch nur sehnsüchtige Projektionen dessen sind, wie die Menschen idealerweise im Einklang mit sich und der Natur leben sollten. Die Wahrheit ist allerdings schonungslos und kümmert sich nicht um Sehnsüchte: Aggressionen und Hierarchien sind unserer Art in die Wiege gelegt worden und wir mussten in vielen Jahrtausenden lernen, unsere Gewalt im Zaum zu halten und Auseinandersetzungen innerhalb und außerhalb unserer eigenen Gruppen friedlicher auszutragen.

Es zeigt sich somit: Wenn wir unsere menschlichen Konflikte überwinden wollen, hilft uns der Blick auf unsere Verwandten nicht weiter. Wir werden dafür keine Lösungen im Tierreich finden. Außer natürlich, die Menschen unterwerfen sich den Hasen.

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